Viele Menschen, besonders jene mit Kindheitstrauma, erleben es so: Sobald sie beginnen, ihre Gefühle wirklich zuzulassen, werden sie von einer Emotion nach der anderen überrollt. Da kommt die Wut, dann die Ohnmacht, die Trauer, die Hoffnungslosigkeit – eine Welle jagt die nächste. Das Leben wird von den Emotionen gesteuert, man fühlt sich ihnen hilflos ausgeliefert und schnell landet man im Überlebensmodus. Das ist alles andere als Leben.
Doch es gibt einen Weg, Emotionen zu fühlen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Der Schlüssel: innere Führung.
Menschen mit Kindheitstrauma haben oft nie gelernt, sich selbst zu führen. Sie erleben sich als Opfer ihrer Gedanken und Gefühle und hoffen auf schöne Emotionen oder darauf, dass das Chaos von selbst vorbeigeht. Führung kann jedoch erlernt werden – und sie hat nichts damit zu tun, Gefühle zu unterdrücken.
Wie funktioniert es, Emotionen zu fühlen und sich gleichzeitig selbst zu führen?
1. Emotion erkennen und benennen
Nimm die Emotion bewusst wahr und benenne sie: „Ich fühle gerade Wut / Traurigkeit / Angst.“
Durch das Benennen entsteht automatisch Distanz – du bist nicht die Emotion, du bist der Beobachter.
2. Den Körper als Kompass nutzen
Spüre, wie sich die Emotion körperlich zeigt: Herzklopfen, Enge, Wärme, Kälte, Verspannung.
Dein Körper liefert wertvolle Hinweise, wie du die Energie der Emotion lenken kannst.
3. Innere Führung übernehmen
Hier liegt der Kern der Selbstführung – alles Praktische läuft unter diesem Schritt:
- Atmen und stabilisieren: Nimm ein paar tiefe Atemzüge, um Körper und Nervensystem zu beruhigen.
- Bewusst entscheiden: Frage dich: „Was brauche ich jetzt? Welche Handlung ist konstruktiv?“
- Das Learning erkennen: Jede Herausforderung, die dich triggert, ist für dich, nicht gegen dich. Frage dich: „Was darf ich hier lernen?“
- 90-Sekunden-Wissen: Physiologisch dauert eine Emotion nur rund 90 Sekunden, wenn sie ungestört durchlebt wird. Alles, was danach kommt, sind Ego-Storys und Widerstand, die die Emotion verlängern. Dieses Wissen hilft dir, die Welle bewusst zu surfen, ohne dich darin zu verlieren.
Gefühle zulassen, ohne sich darin zu verlieren
Du kannst die Emotion spüren, ohne in die Story einzutauchen. Kurz fühlen – dann beobachten, benennen und bewusst entscheiden: Was mache ich jetzt? Für welches Gefühl entscheide ich mich? Annahme? Dankbarkeit? Freude?
In jeder Herausforderung steckt ein Learning. Indem du dich fragst: „Was darf ich hier gerade lernen?“, lenkst du deine Aufmerksamkeit weg vom Widerstand und von Opferhaltung. So übernimmst du Verantwortung, statt dich den Wellen auszuliefern.
Die Gefahr von Storys
Oft hadern wir monatelang über Situationen, weil wir im Widerstand sind: „Mein Vater hätte mich anders behandeln sollen“, „Mein Ex hätte sich nicht so aufführen dürfen“, „Meine Schwester würde nie nach mir fragen.“
Diese Storys halten uns in niedrig schwingenden Emotionen gefangen. Stattdessen: Emotion erkennen, benennen, Führung übernehmen – und dann fragen: „Warum ist diese Situation für mich da?“
Dein Leben bewusst gestalten
Du kontrollierst nicht, was im Außen passiert. Aber du kontrollierst, wie du darauf reagierst. Du unterdrückst keine Gefühle, du fühlst sie bewusst und lenkst sie. Du surfst die emotionalen Wellen, statt unterzugehen, und übernimmst Verantwortung für dein Erleben.
Innere Führung ist lernbar. Sie beginnt mit jedem Atemzug, jeder bewussten Entscheidung und jeder kleinen Praxis, die dich daran erinnert: Du bist Kapitän deines Lebens – nicht deine Emotionen.

